Wie gelingt der Umgang mit der Pandemie beim ÖPNV?

Die Corona-Pandemie wirkt sich auf den ÖPNV in besonderem Maße aus. Verkehrsunternehmen müssen das Vertrauen der Fahrgäste wiedergewinnen.
23 Februar 2022
Frau mit Maske im Zug - Photo by Marco Testi on Unsplash
Christian Jödden
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Anselm Speich
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Original-Artikel:
Dr. Adi Isfort; Christian Jödden:
Wie gelingt der Umgang mit der Pandemie, Der Nahverkehr 1+2, 2022, S.24-28

Zwei Corona-Jahre liegen nun hinter uns und noch immer ist kein schnelles Ende der Pandemie abzusehen. Der öffentliche Nahverkehr hatte und hat darunter sehr zu leiden. Die Zahl der Fahrgäste ist drastisch zurückgegangen. Im Kundenbarometer für den ÖPNV in Deutschland [1] wurden alle Personen befragt, die vor der Corona-Pandemie mindestens einmal mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren sind. Erfragt wurde das Nutzungsverhalten vor Corona und die aktuelle Nutzungshäufigkeit.

Danach gab es vor Corona 43 Prozent Vielfahrerinnen und Vielfahrer, die oft, das heißt mindestens dreimal pro Woche, mit dem ÖPNV unterwegs waren. Weitere 31 Prozent gaben an, gelegentlich (mindestens einmal pro Monat) mit öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren zu sein, und 26 Prozent antworteten, seltener den ÖPNV genutzt zu haben. Von diesen ehemaligen Nutzerinnen und Nutzern haben 37 Prozent ihr Nutzungsverhalten aktuell nicht verändert. Allerdings ist jeweils fast ein Drittel der ehemaligen Fahrgäste seltener (30 Prozent) oder gar nicht mehr (33 Prozent) in Bus und Bahn unterwegs.

Veränderung der ÖPNV-Nutzungshäufigkeit

Abbildung 1: Veränderung der ÖPNV-Nutzungshäufigkeit

Dabei sind vor allem die vormaligen Vielfahrerinnen und Vielfahrer bedeutsam für die Verkehrsunternehmen und deren Reaktionen besonders schmerzhaft. Denn auch in dieser Gruppe sind es 38 Prozent, die seltener und 22 Prozent, die gar nicht mehr öffentlich fahren.

Ursachen für geringere ÖPNV-Nutzung

Um die Ursachen für die Nutzungsänderung zu analysieren sowie die Wünsche und Bedenken der Fahrgäste bezüglich der Corona-Pandemie zu hinterfragen, wurde sowohl 2020 als auch 2021 innerhalb des ÖPNV-Kundenbarometers [2, 3] ein gesonderter Befragungsteil durchgeführt, das sogenannte Corona-Modul. Die aktuellen Ergebnisse aus 2021 beruhen auf den Daten von 17 am Corona-Modul teilnehmenden Verkehrsanbietern. Insgesamt sind darin mehr als 10 Mio Einwohnerinnen und Einwohner meist größerer Städte vertreten.

Die Reaktion der ÖPNV-Nutzerinnen und Nutzer auf die Pandemie lässt sich in vier Gruppen unterteilen:

Die Fahrgäste, die ihre Nutzung nicht reduziert haben, unterteilen sich in

  • „Fans“ − Diese nutzen den öffentlichen Nahverkehr in mindestens gleichem Umfang wie vor der Pandemie, obwohl ihnen Alternativen zur Verfügung stünden.
  • „Gefangene“ − Diese nutzen den öffentlichen Nahverkehr in gleichem Umfang, weil ihnen keine Alternativen zur Verfügung stehen.

Die Fahrgäste, die ihre Nutzung reduziert haben, unterteilen sich in

  • Personen mit „Wege-Wegfall“ − Bei diesen Personen gibt es kein Bedarf mehr für ÖV-Wege. Die Anlässe für die Wege sind zum Beispiel aufgrund von Homeoffice oder geschlossener Freizeiteinrichtungen weggefallen.
  • „Verkehrsmittel-Wechsler“ − Diese nutzen für einige oder alle bisherigen ÖV-Wege alternative Verkehrsmittel, unabhängig davon, dass auch hier teilweise Wege weggefallen sind.

ÖPNV -  Segmentierung der Reaktion auf die Corona-Pandemie

Abbildung 2: Segmentierung der Reaktion auf die Corona-Pandemie

Die Verteilung der Gruppen zeigt die Abbildung 2, wobei es regional sehr große Schwankungen in der Verteilung gibt. Der Anteil der Fans reicht von 11 bis 28 Prozent, der Anteil der Gefangenen von 12 bis 42 Prozent. Auch bei den Verkehrsmittelwechslern gibt es regionale Unterschiede von 20 bis 49 Prozent. Die VM-Wechsler teilen sich jeweils ungefähr zur Hälfte auf in Fahrgäste, die einen Teil ihrer ÖV-Wege mit anderen Verkehrsmitteln zurücklegen und jene, die für alle ÖV-Wege Alternativen gewählt haben.

Maßnahmen zum Management der Corona-Krise

Über alle teilnehmenden Verkehrsunternehmen hinweg geben im Durchschnitt 78 Prozent der Fahrgäste, die seltener oder gar nicht mehr mit dem ÖPNV fahren, an, dass die Gründe für die ÖPNV-Wege teilweise oder ganz weggefallen sind. Neben diesem Hauptgrund für die Reduzierung der ÖPNV-Nutzung ist auch die Sorge vor einer Ansteckung (36 Prozent) ein ständiger Begleiter in Bus und Bahn. Damit verbunden geben drei von zehn Personen an, dass ihnen die Fahrzeuge zu voll besetzt sind. Die Maskenpflicht ist bei 17 Prozent ein Grund für eine reduzierte Nutzung. Die Gründe weichen dabei entsprechend der regionalen Gegebenheiten um bis zu 15 Prozentpunkte vom Mittelwert ab.

Die Daten aus dem ÖPNV-Kundenbarometer zeigen zudem, dass die akute Angst vor Ansteckung im ÖPNV zurückgeht. Im ersten Corona-Jahr 2020 wurde die Gefahr vor Ansteckung noch von durchschnittlich 43 Prozent der Befragten als Grund angeführt.

ÖPNV - Gründe für die reduzierte ÖPNV-Nutzung

Abbildung 3: Gründe für die reduzierte ÖPNV-Nutzung

Wohlfühlen und Vertrauen

Die gemeinsame Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln hat durch Corona eine neue emotionale Komponente bekommen. Der zeitliche Verbleib mit anderen, meist fremden Personen auf engem Raum, löst bei vielen Fahrgästen ein Gefühl des Unwohlseins aus. Dieser Aspekt kommt sehr eindrücklich in den Daten der Studie „Mobilität in Krisenzeiten“ zum Vorschein, die Kantar im Auftrag des DLR erhoben hat [4]. In der Längsschnittstudie wurden Teilnehmende seit April 2020 zu verschiedenen Zeitpunkten der Pandemie befragt. Die jüngste Erhebung fand Anfang Dezember 2021 statt. Bei der Frage, wie wohl sich die Personen bei der Benutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel fühlen, erweist sich der Pkw als der klare „Wohlfühlgewinner“ der Pandemie.

Dabei spielt der individuelle Rechtfertigungsaspekt sicher eine (mit-)entscheidende Rolle. Vor Corona war die Nutzung des Autos zum Pendeln ohne die Mitnahme von weiteren Personen ein Verhalten, das im Lichte der Verkehrswende zunehmend in der Kritik stand. Mit Ausbruch der Pandemie ist die Nutzung des Pkw im Sinne des individuellen Gesundheitsschutzes eine nachvollziehbare und plausible Entscheidung. Gleichzeitig ist die Nutzung des ÖPNV nicht mehr in erster Linie eine Maßnahme zur Stärkung des Umweltverbundes. Stattdessen rückt das individuelle und auch gesamtgesellschaftliche Infektionsrisiko in den Vordergrund.

ÖPNV - Mobilität in der Krise. Wohlfühlen mit dem Verkehrsmittel

Abbildung 4: Mobilität in der Krise. Wohlfühlen mit dem Verkehrsmittel, Kantar, nach DLR 2021

Abbildung 4 zeigt, dass es sich deutlich schlechter „anfühlt“, den ÖPNV zu nutzen. Dieses Unwohlsein im ÖPNV schwankte in Abhängigkeit vom Pandemiegeschehen im ersten Jahr. Es scheint aber unabhängig davon einen stetigen Rückgang des Unwohlseins und damit offensichtlich eine langsame Gewöhnung an die Corona-Situation zu geben.

Um die „treuen“ Fahrgäste zu behalten und die „Abtrünnigen“ wieder zurückzuholen ist es notwendig, das Vertrauen in den ÖPNV zu steigern und das Fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln wieder attraktiver zu machen. In diese Richtung geht beispielsweise die Initiative #besserweiter des VDV. Die Initiative versucht in diesem Sinne kommunikativ mit Aufklärungskampagnen das Vertrauen wieder aufzubauen. Dies beinhaltet sowohl Artikel zu wissenschaftlichen Untersuchungen, die dem ÖPNV eine hohe Sicherheit bescheinigen als auch Informationen dazu, welche Maßnahmen die Verkehrsanbieter unternehmen, um die Sicherheit der Fahrgäste zu gewährleisten.

In wiederholten Befragungen hat der VDV das beeinträchtigte Vertrauen in die Sicherheit des ÖPNV gemessen. Der dort gemessene Vertrauensindex deutet an, dass wieder eine leichte Aufwärtstendenz für das Vertrauen in den ÖPNV zu verzeichnen ist. Die Zahlen zeigen aber, dass hier noch einiges an Arbeit vor dem ÖPNV liegt, diesen Rückgang des Unwohlseins voranzutreiben.

Wie sehen die Fahrgäste die Maßnahmen der Verkehrsunternehmen?

Für die Fahrgäste ist das Krisenmanagement von großer Bedeutung für die Zufriedenheit mit dem ÖPNV und damit zusammenhängend mit dem Wohlfühlfaktor in Bus und Bahn. Im Kundenbarometer wird die Relevanz mit Hilfe der Korrelation einzelner Merkmale (hier Zufriedenheit mit dem Krisenmanagement) mit der Globalzufriedenheit ermittelt.

Der Median aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Corona-Modul für die Relevanz des Krisenmanagements liegt bei hohen 0,45 und liegt damit in einer ähnlichen Dimension wie andere wichtige Merkmale, etwa wie die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Das Krisenmanagement hat in den Fahrgast-Gruppen einen unterschiedlichen Einfluss auf die Globalzufriedenheit. Bei Fans und weggefallenen Wegen beträgt der Wert 0,40, bei Gefangenen ist er 0,46 und bei Verkehrsmittel-Wechslern liegt er bei 0,48. Diese Unterschiede unterstreichen noch einmal die Bedeutsamkeit des Themas Krisenmanagement.

Auf der Skala von 1 (vollkommen zufrieden) bis 5 (unzufrieden) wird das Krisenmanagement im Durchschnitt mit 2,84 bewertet. Das entspricht im Vergleich zu anderen Merkmalen einer mittleren Zufriedenheit. Die Verkehrsmittel-Wechsler bewerten das Krisenmanagement deutlich schlechter (3,01). Vor allem diese Fahrgast-Gruppe, die bewusst Alternativen gewählt hat, gilt es zurückzugewinnen. Da die Fahrgäste immer noch mindestens teilweise im ÖPNV unterwegs sind, können sie Maßnahmen der Verkehrsunternehmen durch direktes Erleben erfahren. Zudem sind diese Nutzerinnen und Nutzer immer noch an den Ereignissen im ÖPNV interessiert.

Die einzelnen Corona-Maßnahmen werden unterschiedlich beurteilt. Die größte Zufriedenheit besteht mit dem Verhalten des Fahr- und Servicepersonals. Deutlich am schlechtesten bewertet werden die Maßnahmen, die sich auf die Kontrolle der Maskenpflicht, auf das Abstandhalten im Verkehrsmittel und an Haltestellen sowie auf die Reduzierung von Fahrgästen beziehen.

ÖPNV Handlungsrelevanz-Matrix der Corona-MaßnahmenAbbildung 5: Handlungsrelevanz-Matrix der Corona-Maßnahmen

In Abbildung 5 wird die Zufriedenheit mit den einzelnen Maßnahmen kombiniert mit der realen Bedeutung für das Krisenmanagement dargestellt (Korrelation). Man erkennt, dass von den schlecht bewerteten die abstandsbezogenen Maßnahmen den größten Einfluss auf die Bewertung des Krisenmanagements haben. Wichtige besser bewertete Maßnahmen sind vor allem das Verhalten des Fahr- und Servicepersonals und die Kommunikation der Corona-Maßnahmen.

Was erwarten die Fahrgäste während der Pandemie?

Die von den Fahrgästen gewünschten Maßnahmen, um wieder häufiger den ÖPNV zu nutzen, beziehen sich vor allem auf die Möglichkeit, in Bus und Bahn besser Abstand zu halten. Netto über alle Einzel-Maßnahmen hinweg gezählt, werden von 44 Prozent der Fahrgäste die Wünsche zum Abstand-Halten an erster Stelle genannt. In diese Maßnahmen fallen neben direkten Abstandsmaßnahmen im Fahrzeug (16 Prozent) auch Aspekte, die eine allgemeine Verbesserung des ÖPNV bedeuten. Darunter ist beispielsweise der Wunsch nach kürzeren Taktzeiten (23 Prozent). Auch der Einsatz größerer Fahrzeuge (12 Prozent) und eine Auslastungsanzeige (12 Prozent) werden gewünscht.

ÖPNV Gewünschte Maßnahmen

Abbildung 6: Gewünschte Maßnahmen

Die Maskenpflicht und deren Kontrolle ist 2021 ein weiteres dominierendes Thema. 35 Prozent der Befragten haben eine oder mehrere Maßnahmen aus dem Bereich der „Maske“ genannt. Hierunter zählen vor allem die Maskenpflicht im Fahrzeug (26 Prozent), die Kontrolle der Maskenpflicht im Fahrzeug (20 Prozent) und an Haltestellen (13 Prozent).

An dritter Stelle liegen die Nennungen zur Hygiene bei netto 25 Prozent. Zu den Wünschen, die hier zusammengefasst sind, zählen häufigeres Lüften (15 Prozent), Desinfektionsspender im Fahrzeug (11 Prozent) und an Haltestellen (9 Prozent) sowie Reinigung und Desinfektion auch während des Fahrbetriebes (7 Prozent).

Gerade der stark ausgeprägte Wunsch nach Kontrolle der Maskenpflicht lässt vermuten, dass für die nähere Zukunft auch die Kontrolle von Nutzungsregeln hinsichtlich Impf- oder Testpflicht durch die Verkehrsunternehmen gewünscht wird.

Kommen die Fahrgäste zurück?

ÖPNV Rückkehr nach Corona?

Abbildung 7: Rückkehr nach Corona?

Eine bedeutsame Frage für die Verkehrsunternehmen ist natürlich, ob die Fahrgäste wieder zurück zum ÖPNV finden. Allerdings ist noch unklar, ob der aktuell reduzierte Wegebedarf sich generell wieder einstellen wird oder ob beispielsweise eine (vielleicht eingeschränkte) Homeoffice-Regelung auch weiterhin bestehen bleibt. Die Personen, die zum Teil oder ganz dem ÖPNV den Rücken gekehrt haben, wurden gefragt, ob sie nach Beendigung der Corona-Pandemie wieder wie vorher öffentliche Verkehrsmittel nutzen wollen. Insgesamt 22 Prozent meinen, auch langfristig nicht zur ÖPNV-Nutzung zurückzukehren. Dieser für Deutschland repräsentative Wert verdeutlicht die Notwendigkeit für die Durchführung und Kommunikation vertrauensbildender Maßnahmen.

Literatur / Anmerkungen

Original-Artikel: Dr. Adi Isfort; Christian Jödden: Wie gelingt der Umgang mit der Pandemie, Der Nahverkehr 1+2, 2022, S.24-28

[1] Kantar GmbH (2021). Kundenbarometer ÖPNV Deutschland 2021, München.
[2] Kantar GmbH (2021). ÖPNV-Kundenbarometer 2021, München.
[3] Kantar GmbH (2020). ÖPNV-Kundenbarometer 2020, München.
[4] Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. – DLR (2021). Fünfte DLR-Befragung: Wie verändert Corona unsere Mobilität? https://verkehrsforschung.dlr.de/de/news/fuenfte-dlr-befragung-wie-veraendert-corona-unsere-mobilitaet
[5] Verband Deutscher Verkehrsunternehmen VDV (2021), gemeinsam-#besserweiter, https://www.besserweiter.de/vertrauensindex-bus-und-bahn.html

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