Die Datenvielfalt in Unternehmen hat Nachteile – viele Datenquellen und
ihr praktischer Einsatz folgen einer eigenen Logik, die sich schwer
verbinden lassen. Bei vielen Marketeers besteht deshalb der Wunsch, diese
Datensilos zu überwinden und die Informationen und Insights besser zu
vernetzen. Das Ideal, das allerdings schwer erreichbar ist, wäre eine Single-
Source-Datenquelle. Zumindest wäre es wünschenswert, mit dem gleichen
Zielgruppen-Modell in allen Phasen des Marketing-Prozesses zu arbeiten.
Das erfordert aber ein Daten-Ökosystem, das möglichst viele Aspekte des
Marketings umfasst.
Wie sieht das ideale Daten-Ökosystem aus?
Erstens sind repräsentative und robuste Informationen über Produkt- und
Markennutzung gefragt. Sie sollten so einheitlich wie möglich in
verschiedenen Ländern erhoben und regelmäßig aktualisiert werden. Dabei
dürfen aber auch länderspezifische Besonderheiten nicht außer Acht
gelassen werden.
Zweitens ist es wichtig, Zugriff auf weitere Zielgruppenmerkmale zu
haben – Einstellungen, Meinungen, Freizeitverhalten, Wertorientierungen
und vieles mehr. Dadurch lassen sich Insights über die Konsumenten
gewinnen, die für die Marketing- und Werbeplanung wertvoll sind. Die
klassischen soziodemografischen Variablen sind nach wie vor bedeutsam,
aber auch möglichst viele psychografische. Letztere können als
gedankliches Bindeglied zwischen den repräsentativen Daten und
Erkenntnissen aus qualitativer Forschung dienen.
Drittens sollten auf Basis dieser Informationen Segmentationen
durchgeführt werden, an deren Ende Zielgruppen stehen, die nicht nur die
relevanten Marktpotenziale widerspiegeln, sondern sich ebenso durch
konkrete Kommunikationsmaßnahmen ansprechen lassen. Denn viele
individuelle Segmentationen und Typologien werden nicht in den Daten
nachgebildet, die etwa für die Mediaplanung eingesetzt werden. Die
Segmente sollten außerdem in verschiedenen Ländern einsetzbar sein,
ohne die nationalen Besonderheiten zu vernachlässigen.
Viertens: Die klassische Mediaplanung. Für die Segmente müssten
verlässliche Informationen zur Mediennutzung vorliegen, möglichst
heruntergebrochen auf die relevanten Werbeträger des jeweiligen Landes.
Was die Datenlage betrifft, haben sich in den vergangenen Jahren digitale
Werbung und klassische Medien mehr und mehr auseinanderentwickelt.
Das führt dazu, dass mitunter in beiden Bereichen mit ganz
unterschiedlichen Zielgruppen und Planungsansätzen gearbeitet wird.
Fünftens befasst sich mit genau diesem Problem: Die auf empirischen
Daten beruhenden Zielgruppen-Segmente sollten sowohl bei der
Mediaplanung für Print, Radio und TV als auch für Online-Werbung
einsetzbar sein. Die Erfahrung zeigt, dass der Einsatz von
programmatischen Verfahren bei der Ausspielung von Online-Werbung in
vielen Unternehmen hinter den Möglichkeiten bleibt. Nicht selten werden
Display- und Video-Werbemittel mit relativ simplen Targeting-Vorgaben
geschaltet, die auf Basis-Soziodemografien beruhen. Konsumspezifische
und psychografische Aspekte bleiben unberücksichtigt.
Ein Daten-Ökosystem, das diese fünf Aspekte umfasst, hätte viele Vorteile:
Eine solide empirische Grundlage, eine internationale Ausrichtung - die
lokale Unterschiede und internationale Gemeinsamkeiten berücksichtigt -
und gleiche Zielgruppen-Segmente für verschiedene Marketing-Aufgaben.
Die Kommunikation innerhalb des Unternehmens würde dadurch einfacher,
da nicht jedes Silo seine eigene Zielgruppen-Logik verwendet.
Die Segmentierung der Zielgruppen
Viele vermuten, in unserer fragmentierten Datenwelt könnten nur die
wenigen amerikanischen Tech-Giganten mit ihrer totalen digitalen
Überwachung, so ein Ökosystem liefern. Das ist aber nicht richtig. Die
Marktforschung bietet hier Möglichkeiten, etablierte Methoden mit
modernem digitalen Online-Marketing zu verbinden. Kantar hat hierzu ein
Konzept, dass vielen der Anforderungen entspricht. Basis ist die etablierte
Konsumenten-Studie TGI, die weltweit in mehr als 55 Märkten erhoben
wird. So deckt beispielsweise die seit Jahrzehnten durchgeführte Studie
TGI Europa vergleichbare Informationen für die vier großen Märkte
Deutschland, UK, Spanien und Frankreich auf repräsentativer Basis ab. Pro
Jahr werden für die TGI-Europa-Studie 60.000 Interviews geführt und so
Daten über Konsum, Psychografie und Mediennutzung erhoben. Die
Vielfalt an Merkmalen kann für individuelle Zielgruppen-Definitionen
genutzt werden. Dabei sind komplexe individuelle Segmentierungen
möglich. Parallel liegen bereits vordefinierte Typologien vor, die relevante
psychografische Aspekte berücksichtigen. Mit den in der TGI Europa
enthaltenen Mediainformationen lassen sich Mediastrategien und
Mediapläne erstellen. Die Studie ist seit langem etabliert, doch gibt es jetzt
eine Ergänzung: „Audiences for Activation“ ermöglicht es, Zielgruppen-
Segmente, die mit TGI-Daten gebildet wurden, auch über Online-Targeting
zu erreichen.
Das Vorgehen ist komplex, an dieser Stelle wollen wir es daher etwas
vereinfacht darstellen: Die Segmente werden mit klassischen statistischen
Methoden in dem Datensatz der TGI Europa gebildet. Mit Hilfe eines
„Propensity Modelling“ wird ein Vorhersage-Modell entwickelt, das es
erlaubt, auf Basis von digitalen Nutzerdaten automatisiert eine Prognose zu
erstellen, ob ein Online-Nutzer einem der Segmente angehört. Durch eine
Schnittstelle zu den Data Management Plattformen (DMPs) von
Werbevermarktern ist es dann möglich, Online-Werbung gezielt auf die
definierte Zielgruppen-Segmente einzustellen. Kantar arbeitet dabei mit
einer Reihe großer internationaler Online-Vermarkter und Mediaagenturen
zusammen. Allein in Deutschland lassen sich 70 Prozent der Online-Nutzer
mit programmatisch ausgespielter Online-Werbung erreichen. Innerhalb
dieser Nutzerschaft können mit hoher Präzision diejenigen identifiziert
werden, auf die das Profil des anvisierten Zielgruppen-Segments passt – es
handelt sich also um ein „Predictive Targeting“.
Zielgruppenaktivierung anhand eines Praxisbeispiels
Anhand eines Beispiels wollen wir den Mehrwert dieses Vorgehens für
international agierende Werbungtreibende erläutern. Eine Analyse der TGI
Europa zeigt klar einen Trend in allen untersuchten Ländern: Eine immer
größer werdende Anzahl von Verbrauchern achtet auf Nachhaltigkeit,
Ressourcen-Schonung und Umweltschutz. Das zeigt sich zum Beispiel beim
Verhalten im Zusammenhang mit Recycling – wobei die Deutschen schon
lange nicht mehr die Musterschüler in Europa sind.
Für viele Marken – vom Bio-Supermarkt bis zum fair gehandelten Kaffee –
sind diese auf Nachhaltigkeit bedachten Konsumenten eine relevante
Zielgruppe. Auf Basis dieser Einstellungs-Informationen könnte eine
individuelle Zielgruppe definiert werden. Alternativ – und das wollen wir
hier zeigen – gibt es bereits ein vordefiniertes Segment in der TGI: Die
„Ethical & Environmental Empathisers“. Hier ist eine Vielzahl von
relevanten Merkmalen bereits durch statistische Methoden zu einer
homogenen Gruppe verdichtet worden.
Dieses kleine, aber wachsende Segment der „Ethical & Environmental
Empathiser“ lässt sich in der TGI Europa untersuchen – ihr
soziodemografisches Profil, ihr konkretes Konsumverhalten, ihre
Freizeitaktivitäten, die Offenheit für verschiedene Marketing-Maßnahmen
bis hin zur konkreten Mediennutzung. Mit diesen Informationen lassen sich
anschauliche Personas entwickeln und konkrete Insights für die
Werbeplanung finden. Ebenso lässt sich eine Mediastrategie entwickeln,
zum Beispiel die Auswahl der geeigneten Zeitschriften für
Anzeigenwerbung. Schaut man sich etwa die Zeitungen und Zeitschriften
mit der höchsten Affinität an - also Titel, bei denen die Zielgruppe in der
Leserschaft überproportional vertreten ist - sieht man ein klares Bild:
Themen wie Natur, Garten und Umwelt sind beliebt, ebenso gehobene
General-Interest-Titel.
Diese Zielgruppe ist bereits in den Targeting-Optionen bei „Audiences for
Activation“. So kann eine Online-Kampagne geplant und eingekauft
werden, die speziell die „Ethical & Environmental Empathiser“ ansteuert. In
Deutschland sind zwischen zwei und drei Millionen Menschen in diesem
Segment mit programmatischer Online-Werbung erreichbar. Durch das
Inventar der Werbepartner können Kontakte in dieser Zielgruppe ohne
Streuverlust realisiert werden. Zielgruppen-Analyse, Insights-Gewinnung,
Kommunikationsstrategie, Mediaplanung und programmatische Online-
Werbung können also mit den gleichen Daten und Zielgruppen
durchgeführt werden – und das für die Länder Deutschland, Frankreich und
Großbritannien sowie in weiteren Märkten, in denen die globale TGI Studie
ebenfalls durchgeführt wird, wie Dänemark, Schweden, Finnland und
Norwegen.
Einige Anmerkungen sind zu diesem Konzept noch zu machen. Bei dem hier
gewählten Beispiel wird eine vordefinierte Zielgruppe verwendet. Kantar
liefert hier eine große Anzahl von solchen fertigen Segmenten – zum
Beispiel für 13 Produktbereiche, soziodemografische und psychografische
Segmente. Es ist ebenfalls möglich, kundenspezifische Segmente zu
definieren.
Wie steht es um den Datenschutz?
Eine häufig gestellte Frage betrifft den Datenschutz. Hier muss betont
werden, dass alles gesetzeskonform passiert und nur mit anonymen und
modellierten Daten gearbeitet wird. Es werden keine Befragten der TGI
identifiziert und mit programmatischer Werbung beliefert – die Trennung
von Marktforschung und Direkt-Marketing bleibt immer bestehen. Heikler
ist die Entwicklung in Sachen Cookie-Akzeptanz, die das Targeting für die
gesamte Online-Werbebranche schwieriger machen. Doch
korrespondieren die derzeit diskutierten Lösungen – wie beispielsweise
kontextuelle Targetings oder anonymisierte Profile auf Basis von Login-
Daten – mit Kantars Ansatz, empirische Marktforschungsdaten nutzbar zu
machen. Das Konzept von „Audiences for Activation“ ist deshalb
zukunftsfähig und wird zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Ein Daten-Ökosystem als sinnvolle Alternative
Derzeit arbeiten viele Werbungtreibende, Online-Vermarkter und Tech-Konzerne an Lösungen, wie die Kluft zwischen Insights und Planung,
zwischen Analyse und Aktion, zwischen Off- und Online-Medien überbrückt
werden kann. Das Ideal eines Daten-Ökosystems auf Basis repräsentativer,
reichhaltiger Marktforschung ist dabei kein Auslaufmodell. Es kann eine
sinnvolle Alternative sein zu den rein auf digitalen Datenspuren basierenden
geschlossenen Systemen der Tech-Giganten. Und es zeigt den Wert von
kundenzentrierter Forschung im digitalen Zeitalter.