Wie Verhaltenswissenschaften erfolgreiche Innovationen fördern

Innovation ist der Schlüssel zu Wachstum. Die Prinzipien der Verhaltenswissenschaften helfen, den Prozess der menschlichen Entscheidungsfindung besser zu verstehen.
27 Juni 2022
Verhaltenswissenschaften helfen den Menschen zu verstehen
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Becky
Ingram

Director of Sustainable Innovation and Behavioural Science

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Dr. Nicki
Morley

Head of Behavioural Science and Innovation Expertise, Insights Division, UK

Foto Jan-Marc Bäumler
Jan-Marc
Bäumler

Client Director - Innovation & Commerce

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Wie wir in unserem Artikel „Warum ist Innovation so wichtig für das Markenwachstum?“ erörtert haben, erfordern disruptive Zeiten einen neuen Ansatz für Innovationen. Daten von Kantar BrandZ zeigen, dass die Marken, die in schwierigen Zeiten weiterhin innovativ bleiben, siebenmal so schnell wachsen wie der Wettbewerb.

Dennoch bleiben Innovationen ein riskantes Geschäft, welches noch risikoreicher wird, wenn die menschliche Natur und der Einfluss des Kontextes während des Innovationsprozesses nicht berücksichtigt wird.

Warum Kontext der Schlüssel zur Innovation ist

Kontext kann einen enormen Einfluss auf die Entscheidungsfindung von Menschen haben. Unternehmen können es sich daher nicht leisten, diesen Aspekt in der Innovation-Journey zu ignorieren oder nur beiläufig zu betrachten.

Die Verhaltenswissenschaften oder Behavioural Science - von der kognitiven Psychologie über die Verhaltensökonomie bis hin zur Sozialpsychologie – helfen die Auswirkungen, die der Kontext auf die Entscheidungsfindung von Menschen hat, besser zu verstehen. Die brillanteste Innovation der Welt wird scheitern, wenn sie nicht auf die Verwendungssituation zugeschnitten ist, in der sich die Menschen später befinden, oder wenn sie ein falsches Bauchgefühl hervorruft.

Wie man erfolgreiche Innovationen vorantreibt

Eine erfolgreiche Innovation fordert wesentlich mehr als nur eine neue Technologie. Sonst hätte Google Glass ein enormer Erfolg werden müssen. Stattdessen haben nicht nur die Mehrheit der Menschen, sondern auch die Early Adopter gezögert. Die Frage ist warum?

Die Antwort ist: Weil die wesentlichen Einflussfaktoren – wie soziale Faktoren und emotionale Assoziationen – auf die Entscheidungsfindung der Verbraucherinnen und Verbraucher nicht ausreichend berücksichtigt wurden. Die erforderlichen Verhaltensänderungen wurden unterschätzt – der Anblick von Google Glass rief bei einigen Menschen Bedenken hinsichtlich der Privatsphäre hervor, andere waren der Meinung, dass man mit einem Smartphone im Gesicht seltsam aussieht und auffällt. Letztendlich überwogen die negativen Assoziationen über die positiven Anreize.

Die Berücksichtigung von Ansätzen aus den Verhaltenswissenschaften während der Innovationsforschung hätte hier hilfreiches Feedback liefern können, um das Produkt konsumentenzentrierter zu gestalten.

Wir bei Kantar betrachten 8 bedeutende Einflussfaktoren auf die Entscheidungsfindung, die den wahrscheinlichen Erfolg jeglicher Innovationen bestimmen.

8 Haupteinflussfaktoren auf die Entscheidungsfindung

8 Haupteinflussfaktoren auf die Entscheidungsfindung

Nur wenn wir die Hürden und Hindernisse für die Akzeptanz neuer Innovationen kennen, können wir Maßnahmen entwickeln, um diese zu überwinden. Google Glass ist gescheitert, weil die sozialen und kulturellen Reibungspunkte nicht berücksichtigt wurden.

Sobald wir wissen, welche Einflussfaktoren auf die Entscheidungsfindung bei Innovationen wirken, können wir Chancen erkennen und Produkte oder Dienstleistungen entwickeln, die die Akzeptanz fördern und die Ablehnung minimieren. Das endgültige Ziel sollte immer die Entwicklung eines Produkts oder eines Services sein, das oder der ein Bedürfnis erfüllt oder ein Problem auf sinnvolle Art und Weise löst.

Nachhaltigkeit unterstreicht die kontextuelle Herausforderung

Der wachsende Wunsch der Verbraucherinnen und Verbraucher nach nachhaltigeren Produkten und Dienstleistungen macht deutlich, wie wichtig es ist, die Einflussfaktoren des Verhaltens auf die Entscheidungsfindung zu bestimmen und die Herausforderungen des Nutzungskontextes zu verstehen.

Auch wenn die meisten Menschen sagen, dass ihnen Nachhaltigkeit wichtig sei, sträuben sich viele instinktiv dagegen, Produkte zu kaufen, die eines größeren Aufwands bedürfen, mehr kosten oder gar dazu führen, auf etwas verzichten zu müssen. 92 % geben an, dass sie einen nachhaltigeren Lebensstil führen wollen, – aber nur 16 % ändern aktiv ihr Verhalten.

Widerspruch zwischen Werten und konkretem Handeln (Value-Action-Gap)

Widerspruch zwischen Werten und konkretem Handeln

Sources: Kantar’s #WhoCaresWhoDoes report, Kantar Sustainability Sector Index 

Wir haben in den letzten Jahren immer wieder gesehen, dass großartige, nachhaltige neue Produkte sich nicht durchsetzen konnten. Nicht, weil den Menschen die Nachhaltigkeit nicht wichtig war, sondern weil die Kompromisse bei diesen Produkten im Vergleich zu ihrer Attraktivität oder dem Wunsch nach Nachhaltigkeit überwogen.

Ein Beispiel:

  • Eine Änderung des Produktformats mit dem Ziel, auf Plastikverpackungen zu verzichten, erwies sich als weniger erfolgreich als erwartet, weil das neue Produkt nicht das gleiche sensorische Gefühl und das gleiche hochwertige Aussehen bot.
  • Auf einer etwas banaleren Ebene können gute Absichten durch situative Faktoren beeinträchtigt werden. Oftmals kaufen Menschen, die beabsichtigen, Nachfüllpackungen zu kaufen, doch wieder die Originalpackung, da relevante Nachfüllpackungen nur schwer erhältlich sind.

Viele nachhaltige Innnovationen erfordern Verhaltensänderungen bei Konsumentinnen und Konsumenten. Und sei es eben nur, die Handseife nachzufüllen, statt einfach auszutauschen. Innovationstreibende im Bereich Nachhaltigkeit müssen den Fokus der Innovation-Journey so setzen, dass die Wahl ganz natürlich und unbewusst auf ihr Produkt oder Angebot fällt und den Konsumierenden die Umstellung so leicht wie möglich gemacht wird. Die Kaufabsicht kann z.B. durch besonders gelungenes, an Apple anmutendes Produkt-Design, gefördert werden, wie das Nachfülldeo von Dove.

Wie man Verbraucherwissen anders nutzt: 6 wichtige Schritte

Die Integration der Verhaltenswissenschaften in der Marktforschung benötigt mehr als nur eine Änderung der Denkweise. Zunächst müssen wir die menschlichen Verhaltensweisen verstehen, die eine erfolgreiche Innovation vorantreiben. Daraus folgt die Einführung eines detaillierten und agileren Entwicklungsprozesses, der die Verhaltenswissenschaften während des gesamten Innovationsprozesses nutzt und die Möglichkeit bietet, dazu zu lernen und den Prozess weiterzuentwickeln. Mit diesem Ansatz hat das Endprodukt der Innovation-Journey die besten Erfolgschancen.

1. Neue Möglichkeiten im Kontext erkennen

Um mit Innovationen erfolgreich zu sein, muss man erkennen, welche Einflussfaktoren im bestimmten Kontext auf diese wirken. Die beste Methode hierfür ist zunächst ein qualitativer Beobachtungsansatz, um sich ein holistisches Bild der Welt der Verbraucherinnen und Verbraucher, ihres Umfelds und der verwendeten Produkte zu verschaffen.
Empathie für die Person und vor allem für deren Bedürfnisse, die es zu bedienen gilt, ist ein erster wichtiger Schritt. Ein Blick auf die Verwendungssituationen der Kategorie und die Einflussfaktoren erschließen uns die Motivatoren und Barrieren. Diese können im nächsten Schritt genutzt werden, um ein Produkt zu entwickeln, das Erfolg verspricht.

2. Auf instinktives und reflektierendes Denken reagieren

Eine der wichtigsten Möglichkeiten, um mit Hilfe der Verhaltenswissenschaften sinnvollere Produkte zu entwickeln und die Akzeptanz von Innovation zu erhöhen, besteht darin, das Zusammenspiel aus intuitivem und reflektierendem Denken zu verstehen.

Entgegen der allgemeinen Auffassung werden alle menschlichen Entscheidungsfindungen von beiden genannten Denkweisen beeinflusst. Je nach Vertrautheit des Kontexts und der zu treffenden Entscheidung kann sich das Gleichgewicht jedoch in die ein oder andere Richtung verschieben.

Die Wahl eines Soft Drinks mag einfach erscheinen, da man wie immer zur roten Dose an einem bestimmten Regalplatz greift und genau an dieser Stelle schon immer Coca-Cola gefunden hat (intuitives Denken). Wenn man jedoch neue Produktideen bewerten soll, denken die Menschen oft zu viel nach und zweifeln an ihren Entscheidungen, da die Konzepte, die sie bewerten sollen, neu, unbekannt oder aus dem Kontext gerissen sind (reflektierendes Denken).

3. Das Augenmerk darauf legen, wie Menschen im Alltag reagieren

Um diese Herausforderung aufzulösen, müssen wir wie beschrieben die instinktive wie auch die reflektierende Reaktion auf neue Ideen berücksichtigen. Wichtig ist aber auch, dass wir die Einflussfaktoren auf die Entscheidungsfindung, die den Menschen womöglich nicht bewusst sind, erkennen.

Dies könnte bedeuten, neue Produkte in unnatürlichen Entscheidungs-Situationen bewerten zu lassen, also z.B. in Situationen, in denen Menschen sie dringend benötigen. Oder aber man versucht herauszufinden, worauf Verbraucherinnen und Verbraucher bereit wären zu verzichten, wenn es eine nachhaltigere Alternative eines Produktes gäbe.

Im Rahmen einer Studie haben wir bspw. festgestellt, dass ein Grund, eine nachhaltigere Verpackung nicht zu wählen, sein kann, dass diese als weniger wertig eingestuft wird und damit als Geschenk nicht geeignet ist.

4. Instinktive Entscheidungen erkennen

Um den Widerspruch zwischen Werten und konkretem Handeln, der in Marktforschungsstudien immer wieder auftaucht, besser zu verstehen, wurde eine Methode entwickelt, die das ‚Swipen‘ bei Dating-Apps wie „Tinder“ oder „Bumble“ nachahmt. Die schnelle Abfolge von Auswahlmöglichkeiten zwingt Menschen dazu, sich mehr auf ihre instinktive Reaktion zu verlassen und nicht zu viel nachzudenken.

Unsere Lösung PackEvaluate nutzt diesen Ansatz, um aus vielen Optionen die besten Verpackungen zu ermitteln und klare diagnostische Erkenntnisse zu bieten, um diese zu verbessern.

In dem Projekt für die Craft-Bier-Brauerei „BrewDog“ half unser Ansatz dabei, herauszufinden, wie man Nachhaltigkeitswerte am besten zielgruppengerecht kommuniziert.

 

5. Implizite Assoziationen identifizieren

Zur Ermittlung der wichtigen, unterbewussten Einflussfaktoren auf die Entscheidungsfindung, die den Wunsch nach einem Produkt wecken oder auch Abneigung hervorrufen, kann der Intuitive Assoziationstest von Kantar eingesetzt werden. Dies ist eine proprietäre Lösung, die die unterbewussten Treiber der Entscheidungsfindung aufdeckt und anhand der Reaktionszeiten ermittelt, welche Bereiche instinktiv mit einem neuen Produkt, Markennamen, Logo oder einer Verpackung assoziiert werden.

Für einen Kunden, der mit seinem neuen Produkt besonders gesundheitsbewusste Konsumierende ansprechen wollte, wurden mit unserem intuitiven Assoziationsansatz drei Verpackungsoptionen getestet. Die Methode misst die Reaktionsgeschwindigkeit, um zu bestimmen, wie stark ein Wort (bspw. „gesund“, „für Zwischendurch“, „modern“) zu dieser Verpackung passt. Es zeigte sich, dass eines der Verpackungsdesigns aufgrund seiner Farbe mit gesundem Essen assoziiert wurde, während die beiden anderen Varianten mit Snacks verknüpft wurden. Diese implizite Wahrnehmung war entscheidend für die Empfehlung des ersten Packungsdesigns.

6. Verhaltenswissenschaften in den gesamten Innovationsprozess einbinden

Die 8 identifizierten Einflussfaktoren auf die Entscheidungsfindung bilden das Rückgrat für den gesamten Innovationsprozess. Sie helfen uns, den Kontext, die automatischen und instinktiven Reaktionen zu verstehen, die Motivatoren zur Annahme einer Innovation zu identifizieren und die Barrieren zu erkennen, die wir dann beseitigen können.

Um die Erfolgschancen von Innovationen zu erhöhen, müssen Produkte im Kontext realer Entscheidungsprozesse entwickelt werden. Unsere Vorgehensweise muss widerspiegeln, wo diese Produkte ausgewählt und verwendet werden.

Entwickeln Sie Innovationen für den Kontext, in dem Entscheidungen getroffen und Produkte verwendet werden, und testen und lernen Sie in diesem Zusammenhang.

Gerne diskutieren wir mit Ihnen, wie Sie die Verhaltenswissenschaften in der Marktforschung einsetzen können, um Innovationen voranzutreiben, die sich von anderen unterscheiden werden.

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